Wenn die deutsche Blogosphäre ein helles Zentrum hat, ist München wohl der Ort, der am weitesten davon entfernt ist. Wärend man sich anderenorts längst schon beinahe regelmäßig versammelt, um sich gegenseitig kleine Geschichten vorzulesen und offensichtlich einen Riesenspaß dabei hat, gibt man sich in München beinahe autistisch.
Das hängt damit zusammen, daß der Münchner erfolgreich, wohlhabend, gutaussehend, bestens gewandet und überhaupt irgendwie besser als alle anderen ist. Der Münchner ist erhaben, selbstbewußt und unabhängig. Dennoch kennt er natürlich einen Haufen Leute. Nur die richtigen und wichtigen natürlich. Prominente vor allem.
Da war es eine kleine Sensation, daß vorgestern tatsächlich eine Bloglesung abgehalten wurde. Wohlweislich die erste bayerische Bloglesung, nicht eine münchnerische.
München wäre nicht München, wenn man sich einfach so in ein Lokal setzen und direkt loslegen würde. So wurden am Vortag der Lesung eine Reihe von Verhaltensmaßregeln bekanntgegeben. So sollte man am Veranstaltungsort, einer respektablen Cocktailbar, nicht rauchen. Photographieren war allenfalls ohne Blitz erlaubt. In der trüben Beleuchtung der Reizbar dennoch geschossene Aufnahmen zu veröffentlichen bedarf der ausdrücklichen Genehmigung der Vortragenden.
Das war Anlaß für eine außerordentliche aber kurze Redaktionskonferenz. Die Bildredaktion beschied, sie würde dann, so vorhanden, eben auf offizielles Bildmaterial zurückgreifen, statt eigene Aufnahmen zu machen, dafür aber sicher pro Person mindestens fünf bis sechs Adios Motherfucker auf Spesen trinken („Sollen die sich halt selber schießen, ist mir doch wurscht. Hauptsache es gibt was anständiges zu trinken.“). Ein Live-Mitschnitt wurde erwogen, jedoch schnell wieder verworfen, weil der Tontechniker restlos überfordert war („Da müssen wir aber vorher den Dings, äh Don oder überhaupt alle fragen, ob … na was weiß ich. Auf jeden Fall ist der Akku vom Rekorder leer. Aber die Getränke gehen schon auf Spesen, oder?“). Schließlich konnte der Chefredakeur per Machtwort einen Beschluß erwirken („Wir gehen da hin, gießen uns ordentlich einen auf die Lampe und rauchen alle Kette bis wir rausfliegen. Wer sich hinterher noch an was erinnert, soll das dann aufschreiben.“)
Gesagt, getan. Nach einer launigen Anmoderation von Frau Lyssa die alle nochmal zu aufrechter Sitzhaltung ermahnte und erklärte daß man schlechte mündliche Noten bekommen würde, wenn sie einen beim Schwätzen erwischt, ging es auch schon los.
Die vorwiegend autobiographischen Geschichten waren allesamt höchst unterhaltsam, die meisten im Lampenfieber etwas zu hastig vorgetragen. Als der heimliche Star der ersten bayerischen Bloglesung stellte sich Jügen Albertsen heraus, der seine beiden hervorragenden Kurzgeschichten mit angenehm sonorer Stimme überaus gekonnt zu intonieren wusste.
Wer nicht dabei sein konnte, findet die Geschichten auch zum selber lesen im Netz:
Days of Splenour und Auf der Dachterasse (Don Alphonso), Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Gallop und Linke Gasse, Kreissparkasse (Lyssa), Oma-Beerdigung – 3: Die Babylonier hätten sich bloß ein bisschen anstrengen müssen und Elternsorgen und Urlaubsüberraschungen (Frau Kaltmamsell), Don’t eat the yellow snow und Geobiographie (Frau Klugscheisser), Dass der Gustl kein Hund war und Die Liesl (Jürgen Albertsen)
Die junge Dame, die am Ende der Theke zunächst eine halbe Stunde stehen und später auf einer leeren Bierkiste (Becks) sitzen musste, soll sich bitte einen anderen Freund suchen als den blonden Rüpel im dunklen Anzug der von seinem gemütlichen Plätzchen auf der Bank tatenlos zusah.
Wer übrigens glaubt, ein Podcast könne das Erlebnis eines Live-Auftritts ersetzen, irrt gewaltig. Die Stimmung ist nicht konservierbar, man muß sie selbst vor Ort erleben. Das Menschen gerne Konzerte von Bands besuchen, deren Studio-Aufnahmen sie längst auf Platte (oder CD) zuhause stehen haben, hat ja einen guten Grund.
Merken Sie sich also den 24. März 2006 vor, an dem die 2. Bayerische Bloglesung stattfinden wird. Denn das wird bestimmt wieder eine Fetzengaudi.
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