Angst 2.0

Die Schrecken, die die mediale Windmaschine uns Tag für Tag um die Ohren bläst verlieren an Haltbarkeit. So mag zwar die angekündigte Klimakatastrophe kommen und den Planeten erwärmen, nicht aber so recht die Gemüter zu erhitzen. Für ein paar Verbrauchertips zum Energiesparen wie man sie vor 20 Jahren schon in Schulaufgaben im Fach Deutsch zu erörtern pflegte mag es reichen. So richtige Angst will da offenbar nicht mehr aufkommen.

Zudem nimmt die Kriminalität in Deutschland seit zehn Jahren kontinuierlich ab. Das ist besonders bemerkenswert, weil gleichzeitig immer neue Gesetze erlassen werden, die zuvor nicht weiter beachtete Gegebenheiten zu kriminellen Handlungen machen.

Niemand hat während des Sicherheitsgipfels in München Trambahnen gekapert um sie in die beiden Türme der Frauenkirche zu steuern und diese zum Einsturz zu bringen. Es bestehen durchaus Zweifel, ob dies nur darauf zurückzuführen ist, daß der Betrieb der betreffenden Linien zu dieser Zeit eingestellt worden war.

Bombenanschläge: Fehlanzeige. Attentäter schaffen es heute ja nicht einmal, funktionsfähige Bomben herzustellen (wahrscheinlich weil sie sich die Anleitungen dazu aus dem Internet suchen müssen). Zwar könnte man angesichts der öffentlichen Diskussion annehmen, Deutschland läge am Gazastreifen. Tatsächlich passiert ist in den letzten elf Jahren nichts in dieser Richtung. Auch kann ja von Terrorismus nicht die Rede sein, wenn Libyen amerikanische Soldaten aus ihrer bevorzugten Diskothek bombt. Terrorismus gab es in Deutschland das letzte Mal zu Zeiten der RAF.

Der neueste Streich ist das Postulat einer gestiegenen abstrakten Gefährdung mit der die Innenminister von Bund und Ländern die Angst zu pflegen suchen. Man muß dieser Verlautbarung eine gewisse zynische Eleganz zusprechen, denn der Angst vor dem Ungewissen wohnt bekanntlich der größte Schrecken inne. Dabei ist die Aussage völlig unverbindlich. Denn ob die gestiegene abstrakte Gefährdung vielleicht eher ein Dysphemismus für eine Putativgefahr ist kann dahingestellt bleiben. Passiert nichts, liegt es an den ergriffenen Gegenmaßnahmen. Anderenfalls hatte man recht.

Vor allem lenkt es von einer ganz anderen, konkreten Gefahr ab. Nämlich der, daß die Rechnung der Terroristen vom 11. September aufgeht und die westliche Welt sich hysterisch vor Angst selbst in den Niedergang manövriert. Viele Segnungen der Aufklärung haben wir Al Quaida bereits geopfert. Es wäre höchste Zeit nach über fünf Jahren endlich wieder zur Besinnung zu kommen. Deutschland muß seine Freiheit nicht am Hindukusch verteidigen, sondern zuhause. Gegen Armut und Bildungsnotstand gilt es sich zu engagieren. Nicht Terroristen, sondern Korruption in der Politik, Zerstörung der Umwelt und überbordende Bürokratie bedrohen unsere Gesellschaft.

Kommentare

7 Antworten zu „Angst 2.0“

  1. Abstrakte Gefährdung…

    (Foto: wikipedia.de)
    Deutschland solle nicht in Terrorhysterie verfallen. So der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und ihm pflichtet in dieser Aussage der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) eiligst bei. Das ungleiche Paar de…

  2. Avatar von German Psycho

    Wirklich guter Artikel. Absolut zutreffend. Gerade in dieser perfiden Argumentation („Catch 22“) liegt ja die rethorische Größe: Egal, was passiert, ich habe recht. Eigentlich muß man Sie schon bewundern, die klügsten Männer der Welt…

  3. Avatar von Opa

    Das ganze Leben ist gefährlich und Angst war immer schon der schlechteste Ratgeber. Sicherheit gibt es nicht.

  4. Avatar von poodle

    Mein lieber Herr Passenger, um ausnahmsweise mal die paar Jahre Altersvorsprung auszuspielen: Vielleicht erzähle ich bei Gelegenheit mal ein paar Schoten aus den späten 70ern, bespielsweise wie meine kreuzbrave Frau Mutter von der B32 gewunken wurde, wo schnauzbärtige Jungpolizisten mit Maschinenpistolen bereit standen, die weiß der Himmel was in Erwägung zogen. Traurige Ergebnisse der damaligen Versuche, die Bedrohung ausgesuchter Personenkreise zur Bedrohung von irgendwie uns allen hochzustilisieren (deren kaum minder hysterische Nachwirkungen sich jetzt – 30 Jahre später – ja wieder sehr schön beobachten lassen). Will sagen: Leider war es glaube ich schon immer so, wie Sie zurecht bemängeln und, was das eigentlich Schlimme ist: es funktioniert – damals wie heute.

  5. Avatar von Fellow Passenger

    Erkenntnisse die der vorherrschenden Betrachtungsweise diametral entgegenstehen lösen in mir oft das Verlangen aus, prüfen zu wollen, ob ich vielleicht nicht mehr alle Tassen im Schrank habe. Schon deshalb freut mich Ihre Zustimmung, bester Herr Psycho.

    Und ganz genau, teuerster Herr Opa! Es endet das Leben erwiesenermaßen immer tödlich. Wer jedes Risiko ausschließen will muß sich spätestens bei seiner Geburt entleiben. Das Leben ist an sich eine durchaus vergnügliche Angelegenheit. Es wäre ausgesprochen dämlich diese beschränkte Zeit in Angst zu begehen.

    So jung wie Sie es mir charmanterweise unterstellen bin ich auch nicht mehr, verehrter Herr Poodle. Die späten 70er sind mir durchaus noch erinnerlich. Schäbig bekleidete Kriminalbeamte die sich an der Wohnungstür nach meiner Verwandschaft erkundigen wollten habe ich auch damals schon als Unverschämtheit empfunden. Daß sich in 30 Jahren nicht die geringste Verbesserung eingestellt hat, wie Sie ganz richtig bemerken, erschüttert mich trotzdem.

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