Anarchie im Straßenverkehr ist offenbar geeignet, seine Teilnehmer sicherer und schneller ans Ziel zu bringen. Statt an jeder Kreuzung Ampeln aufzustellen, Geschwindigkeiten und Richtungen zum Abbiegen vorzuschreiben lässt man die Verkehrsteilnehmer im holländischen Ort Drachten mit 45.000 Einwohnern einfach in Ruhe. Mit bemerkenswertem Erfolg, wie in der „Zeit“ zu lesen ist:
Autos stoppen für Fußgänger. Lasterfahrer stimmen sich mit Radfahrern per Blickkontakt ab. Ein Mann mit roter Jacke auf einem Rennrad späht in das Innere eines schwarzen Toyota und signalisiert dem Fahrer, dass er abbiegen und ihm nicht in die Quere kommen wird. Ein weißhaariger Herr im motorisierten Rollstuhl kreuzt quer über die Fahrbahn, und niemand hupt. Kaum ein Fahrzeug fährt schneller als 20 Stundenkilometer, doch weil fast niemand anhalten muss, dauert es heute nur etwa 10 Minuten, um das Zentrum von Drachten zu durchqueren, während es früher 20 waren. Und die Unfallstatistiken sind prima. An mittlerweile 107 Straßen und Kreuzungen hat Monderman sein Shared-Space-Konzept umgesetzt. An keiner ereignete sich bisher ein ernster oder gar tödlicher Unfall.
Daß die über 20 Millionen Verkehrsschilder in Deutschland eigentlich nichts gutes bewirken können ist übrigens sogar schon länger bekannt, wie „Spiegel“ (auch Online) schreibt:
Psychologen haben diese Überfütterung längst als unsinnig enttarnt. Rund 70 Prozent der Hinweise werden überhaupt nicht wahrgenommen. Zudem entmündigt die Verbotsflut den Fahrzeuglenker und fördert dessen sittliche Verrohung. Er hält zwar vorm Zebrastreifen, fühlt sich dafür aber berechtigt, dem Fußgänger überall sonst das Überqueren der Straße zu verweigern. Jede Ampel lockt ihn mit der Verheißung: Das schaffst du noch bei Gelb.
Im Grunde ist es nicht überraschend. In asiatischen Großstädten wird dieses Verkehrskonzept seit Dekaden praktiziert. Zwar gibt es dort Ampeln und Schilder – nur interessiert sich niemand dafür.
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