Weibergschichtn

Es ist warm in der Fraunhoferstraße beim M. C. Müller zu München. Sehr warm sogar. Man soll wohl durstig sein in diesem Lokal, damit man viel zu trinken bestellt. Der Wirt hat nämlich Angst um seinen guten Sonntagsumsatz. Deswegen kostet die Bloglesung heute Eintritt. Nicht für die Organisatoren, sondern für den Wirt, der meint daß zu so einer Black, Block also eben zu so einer Lesung, von Leuten, die nicht prominent sind kaum keiner hingeht. Tatsächlich war es dann so, daß rund 60 Menschen erschienen sind, um den „Weibergschichtn“ aufmerksam zu lauschen. Von den wohl sonst an einem Sonnag üblichen 3.800 Stammgäste mußte glücklicherweise keiner abgewisesen werden, weil sie offenbar schon vorher bescheid wußten, daß heute etwas Besonderes geschehen würde was sie nicht zu ertragen imstande gewesen wären, weshalb sie gar nicht erst erschienen sind. Wie schnell sich sowas herumspricht.

Wie auch immer. Drei Lewonzen gibt man jedenfalls gern, wenn man auch nur ahnt, was einen erwartet, wenn „Weibergschichtn“ gelesen werden sollen. Für völlig unkundige Leser: Wer hier radikalemanzipatorische Schwanz-Ab-Geschichten erwartet, irrt gänzlich. Die vier hinreißenden Damen beißen nicht, und sind überaus charmant.

Frau Klugscheißer die diesen schönen Abend organisiert hat, gibt nach einer kurzen Begrüßung das Wort an Frau Kaltmamsell, die grandios über ein Gedankenexperiment berichtet, welches darin besteht, sich Hollywood-Filme mit vertauschten Geschlechtern der beteiligten Figuren vorzustellen. Eine Idee die unbedingt jedem zur Nachamung empfohlen werden kann. Ich nehme mir vor, das gleich für den weiteren Verlauf der Lesung zu versuchen.

Frau Klugscheißer liest diesmal einen Beitrag, der eine spöttische Retrospektive auf erste zwischengeschlechtliche Erfahrungen ist und in einem dramatisch ausgestalteten Toilettenfehler kulminiert. Nicht so sehr diese Pointe ist es, sondern der Weg dorthin, der dieser Schilderung Witz verleiht. Ihr zweiter Beitrag, “Hello, hey Jo, you wanna give it a go?” beschäftigt sich mit kleinwüchsigen Münchner Originalen und ernsthafen Typen, die am nächsten Tag früh raus müssen. Hinreißend waren beide. Die Geschichten meine ich. Mit dem imaginären Geschlechtertausch in meinem Kopf will es noch nicht so recht klappen.

Frau Spruced brilliert sogleich mit einer Geschichte über Vorbilder die man als Schülerin anhimmelt und Jahre später verabscheut. „So sind Schulmädchen eben“, würde man sich denken, wüsste man nicht selbst, daß es bei den Buben nie anders war. Den Damen ist dieser Umstand vermutlich unbekannt, weil die Herren nie darüber sprechen. Vor lauter Spannung habe ich übersehen, die Geschlechter der Protagonisten umzukehren. Macht nichts, denke ich mir. In der Pubertät wird jeder zum Deppen. Die Geschlechtszugehörigkeit wird in diesem Lebensabschnitt deutlich überbewertet.

Wie schon erwartet begeistert Martina Kink mit ihrem unerreicht lakonisch-trockenen Vortragsstil. Mit einer gesunden Portion Selbstironie schildert sie, unter anderem warum Knaben aus Chiemgau ebensowenig ihr Typ sind, wie ein 320er BMW, den sie inzwischen längst verkauft hat. Wie sich das Automobil welches sich schon vor dem Verlauf einigermaßen selbsttätig um einen Baum gewickelt hatte, dennoch gut veräußern ließ habe ich nicht ganz verstanden. Es freut mich jedenfalls, daß beide (Frau Kink und der Baum) die Begebenheit offenbar wohlbehalten überstanden haben. Ich versuche kurz die Geschlechter von Landpolizisten und Baum zu vertauschen, muß aber gleich einer weiteren Geschichte von Frau Spuced zuhören, die mich zu sehr ablenkt.

Dem frenetischen Applaus nach zu urteilen bin ich nicht der einzige, der ihre Gesschichte über eine Lesung im P1 für den Höhepunkt des Abends hält. Ein kleinwüchsiger Amerikaner in pinker Jacke liest über mehr oder weniger unfehlbare Angrabtechniken, die von der Zuhörerschaft sofort an den anwesenden … aber lesen sie es selbst (auf englisch).

Da kann man sich die Finger wundschreiben wie man will. Die wunderbare Atmosphäre kann man nicht mit ein paar ins Blog gehackten Worten transportieren. Vielleicht gelänge dies halbwegs mit Video- oder Tonmitschnitten. Das hat sich allerdings bei den letzten Münchner Lesungen als technisch möglich, aber persönlich nicht machbar herausgestellt. Wenn man kann, geht man also besser selbst hin. Es lohnt sich immer. Selbst für den Wirt.

Kommentare

10 Antworten zu „Weibergschichtn“

  1. Avatar von Frau Klugscheisser

    Gelesen hab ich zwei Geschichten, nämlich eine aus dem Myblogfundus und die hier. Danke für den Bericht.

  2. Avatar von Fellow Passenger

    Das ist mir sehr unangenehm, meine teuerste Frau Klugscheißer. Ich verstehe nicht wie mir die zweite Geschichte entfallen konnte, zumal ich Tränen lachte, als Sie sie lasen. Ich bitte um Verzeihung und werde das unverzüglich korrigieren.

  3. Avatar von Opa

    Offensichtlich also eine gelungene Veranstaltung für Auge und Ohr.

    Verbindlichtsten Dank, Verehrtester, für diesen höchst informativen Bericht. Die Sache mit den Wirten kennen wir ja. Unser geschätzter Sir Kubelix ist demnach nicht aus der Rolle gefallen, der olle Charmeur?

  4. Avatar von Fellow Passenger

    Der hochverehrte Sir Kubelix ließ sich bedauerlicherweise entschuldigen, mein bester Herr Opa. Die Damen waren also in Sicherheit.

  5. Avatar von Opa

    Langsam reißt das aber ein mit den Entschuldigungen 😉

  6. Avatar von colya

    da wär ich ja gern gewesen!!!

  7. Avatar von Michael

    Ich sass zu besagter Zeit in einem nur mäßig verspäteten ICE von Braunschweig nach München und bin nach dem Lesen dieses Artikels noch trauriger, dass ich nicht dabei sein konnte….

  8. Avatar von Ole

    Was mich gerade spontan grübeln lässt: Gab es eigentlich schonmal eine Internetschreiberlesung in Münster? Die kulturellen Zentren der Republik kommen alle paar Wochen in derlei Genüsse, und ich muss entweder weit reisen oder kann nur davon lesen. Das ist eigentlich schade. Vielleicht mal etwas, das man ändern sollte? Mal schauen. Sehr feiner Bericht in jedem Fall, Herr FellowP.

  9. Avatar von St. Burnster

    Ich hab Sie im Auge, Herr Passenger. Täuschen Sie sich da nicht. Und ich weiß, was Sie am 19. November getan haben.

  10. Avatar von Fellow Passenger

    Ausgezeichnet, mein guter Herr Burnster. Ich weiß es selbst nämlich nicht. Außer am Abend diese Bloglesung. Behalten Sie mich also auch weiterhin gut im Auge, sonst kennt sich ja gar keiner mehr aus.

Schreibe einen Kommentar zu Fellow Passenger Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert