Obschon Polonium neuerdings geradezu in aller Munde ist, scheint es sich bei der bereits 1898 von Marie Curie entdeckten Substanz um etwas ausgesprochen rätselhaftes zu handeln. Hauptsächlich wohl, weil es heute mit zweifelhaften geheimdienstlichen Aktivitäten in Verbindung gebracht wird, die ja schon natürlicherweise rätselhaft sein müssen.
Charakteristisch für das radioaktive Schwermetall soll ein blaues Leuchten sein. Allerdings sind die Mengen in denen es üblicherweise, selbst in den Händen von gut ausgestatteten Giftmördern vorkommt so gering, daß man den Stoff gar nicht sehen kann — trotz eingebauter Beleuchtung. Der Spiegel schreibt:
Eine sichtbare Menge würde auch allerlei Probleme mit sich bringen. Zumindest schreibt der österreichische „Standard“, bereits ein Gramm entwickle 140 Watt an Wärmeenergie. In der Hosentasche wäre ein entsprechendes Fläschchen wie es sich der Nachrichtenkanal N24 vorstellt demnach wohl ungefähr so gut transportieren wie ein Stückchen glühende Kohle.
Zudem läge der übliche Marktpreis einer solchen Menge Poloniumn 210 bei rund zwei Millionen Dollar. Die zugegeben faszinierende Vorstellung, ein Agent mit Lizenz zum Töten appliziere ein wenig von einer Substanz die bläulich aus ihrem Transportbehältnis leuchtet scheint also etwas praxisfern.
Es ist nicht ganz klar, ob Polonium als Luxusgift gelten darf. Zwar ist es deutlich teurer als Luxusdrogen, wie beispielsweise Kokain, andererseits ist es wie erwähnt sehr sparsam in der Anwendung. Mit Hilfe eines komplizierten mathematischen Verfahrens (Division) konnten Experten ermitteln, daß eine tödliche Menge bereits ab zwei Dollar zu haben ist. Dafür muß der wirtschaftlich denkende Assassine allerdings die Angebote des Marktes sorgfältig vergleichen. Kauft er nicht direkt im russischen Großhandel sondern im Internetshop von Bob Lazar, der allerdings nur in die USA liefert, muß er für eine tödliche Dosis eine Million Dollar berappen und zudem die Substanz mühsam aus dem versiegelten Trägermaterial der etwa 15000 benötigten Strahlenquellen pulen. Eingedenk einer gewünschten Menge von der Größe eines Staubkorns sicher ein schwieriges Unterfangen, was Herr Rötzer in seinem Artikel auf Telepolis allerdings unberücksichtigt lässt.
Hätte man die empfohlene tödliche Dosis im Fall Litwinenko nicht um ein Hundertfaches überschritten, wäre das Gift bis zum Zeitpunkt der medizinischen Untersuchung wahrscheinlich nicht mehr oder nur noch in unverdächtigen Spuren nachweisbar gewesen. Spuren sind aber nicht nur in einschlägigen Sushibars, Hotels und Flugzeugen zu finden, sondern offenbar geradezu überall, wie ein Beitrag auf pickings.de erläutert. Für Mordanschläge weist Polonium 210 also geradezu ideale Eigenschaften auf. Nur die richtige Dosis ist schwer abzumessen.
Vielleicht ließen sich mit Antistatikbürsten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen sind sie frei verkäuflich, zum anderen ist die Dosierung leichter. Sechs Stück enthalten laut New York Times eine letale Menge Polonium 210. Zwar wird in diesem Zusammenhang erwähnt, es bedürfe einiger Laborerfahrung um das Polonium daraus zu gewinnen. Es erschließt sich aber nicht, ob der engagierte Hobbyagent sich auch mit den zermahlenen Borsten behelfen könnte.
Offenbar gibt es neben Atomreaktoren auch biologische Möglichkeiten, das hochwirksame Gift zu gewinnen. Zum Beispiel aus Tabak. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärt der Wissenschaftshistoriker Robert Proctor, „die Pflanzen nehmen mit ihren Wurzeln Zerfallsstoffen von Uran auf. Das ist zunächst radioaktives Blei, das sich dann zu Polonium-210 zersetzt …“
Unklar ist, wieviele Zigaretten genau gebraucht würden, um eine tödliche Menge des Poloniumisotops zu gewinnen. Da hier aber vermutlich eher in Containern als in Schachteln gerechnet werden muß, dürfte auch der umweltbewußte Auftragskiller abgeschreckt sein, der für Bioprodukte gerne etwas mehr ausgibt. Schon wegen der mörderisch hohen Tabaksteuer.
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