Schon im frühen Kindesalter wurde mir zwangsweise die Erkenntnis zuteil, daß die Geburtstagsfeier eines freundlichen Hippies keinesfalls entspannt oder gar in euphorischer Stimmung begangen werden darf, wenn sein gewaltsames Ableben schon bald zwei Jahrtausende zurückliegt.
Anfänglich fand ich ein Ereignis bei dem ich reich beschenkt werden sollte, überaus reizvoll. Da war ich gerne bereit mich entsprechend sorgfältig vorzubereiten. Der Ablauf war mir soweit bekannt, daß jenes Ritual mit dem Klang einer feinen Glocke eingeleitet wurde, und daß die Präsente üblicherweise in einer vergleichsweise benutzerunfreundlichen, weil schwer zu öffnenden Verpackung vorzufinden sind. Es erschien mir daher sinnvoll, mich rechtzeitig mit einer Schere auszurüsten, die ich neben der Tür meines Kinderzimmers griffbereit deponierte.
Obwohl ich mich in der elterlichen Wohnung üblicherweise frei bewegen durfte, war mir der Zutritt zum Wohnzimmer an diesem besonderen Dezembertag bis zum lieblichen Klang des Glöckchens untersagt, weil die Vorbereitungen der Zeremonie unter strengster Geheimhaltung erfolgen sollten. Insbesondere das Inkognito des edlen Spenders, eines Herrn Weihnachtsmanns sollte unbedingt gewahrt bleiben, zumal dieser angeblich mit einem Christkind kollaborierte, dem zu begegnen allein meinen Eltern vorbehalten bleiben sollte. Das kam mir seltsam vor, weil die Kinder die ich aus dem Kindergarten kannte sonst alle gerne mit mir gespielt haben und Erwachsene eigentlich eher doof fanden. Dieses Christkind aber schien nichts von mir wissen zu wollen und gab sich lieber mit den Erwachsenen ab. Hier bestand dringender Bedarf an einer verdeckten Ermittlung, dachte ich, und wagte mich verbotswidrig aus meinem Zimmer heraus, um an der Wohnzimmertür einen kleinen Lauschangriff durchzuführen.
Zu meiner Überraschung hörte ich nur die Stimmen meiner Eltern. Die beiden Geheimagenten Christkind und Weihnachtsmann beherrschten ihr Handwerk offenbar perfekt. Ergebnislos bezog ich erneut Stellung im Kinderzimmer und harrte gespannt des erlösenden Glockensignals. Meine Tür ließ ich vorsichtshalber geöffnet und legte meine rechte Hand locker auf die vorbereitete Schere.
Als ich vor Spannung und Neugierde bereits zu platzen drohte, ertönte endlich das lange erwartete Klingeln. Das verabredete Signal für den Beginn der Zeremonie die mich mit Geschenken überraschen sollte. In Sekundenbruchteilen schloß sich meine kleine Faust um die Schere und ich rannte so schnell ich irgend konnte den Gang entlang und durch die inzwischen geöffnete Wohnzimmertür. Auf der Geraden zur reich geschmückten Tanne aktivierte ich meine letzten Reserven und ließ mich, mit der geöffneten Schere im Anschlag, eineinhalb Meter vor dem ersten Geschenkpaket auf die Knie fallen, was akkurat dem erforderlichen Bremsweg entsprach und mir die Möglichkeit gab, die Schere aus der Bewegung heraus exakt am schwächsten Punkt der Verpackung anzusetzen.
Statt mich für diese akrobatische Höchstleistung zu loben, haben meine Eltern mir mit entsetztem Gesichtsausdruck Einhalt geboten und mich scharf kritisiert. Den abgehackten Nadelbaum hätte ich langwierig bestaunen und ausführlich preisen sollen. Eine frohe Weihnacht hätte ich zu wünschen gehabt, ehe ich mich den Gaben gemessenen Schrittes hätte nähern dürfen. Die Schere hätte ich allenfalls bei schwerwiegenden Komplikationen nachträglich anfordern, auf keinen Fall aber von Anfang an selbst mitführen dürfen.
Mit vier Jahren war ich bedauerlicherweise rhetorisch unterlegen. Sonst hätte ich darauf hingewiesen, daß man mir den geplanten Ablauf des Rituals vorher hätte erklären müssen, wenn man von mir bestimmte Verhaltensweisen erwartet. Statt dessen empfand ich Reue und nahm mir vor mich zu bessern. Wie ich meine Begeisterung den Agenten Weihnachstmann und Christkind mitteilen soll, die daran wenig genug interessiert sind, daß sie sich kurz zuvor aus dem Staub machen, blieb mir unverständlich.
Zu viele Ungereimtheiten standen den schwerwiegenden Vorwürfen gegenüber. Es blieb also keine Wahl, als weitere Ermittlungen anzustrengen. Sie sollten sich über zwei Jahre hinziehen, weil meine Eltern als Zeugen über jeden Zweifel erhaben waren. Sie selbst hatten mir ja eingeschärft, daß Menschen stets wahrheitsgemäß Auskunft geben müssen, weil man ihnen sonst niemals mehr glauben könnte. Das erschien mir erstaunlich logisch.
Zunächst unternahm ich im nächsten Jahr den Versuch, den Nikolaus auszutricksen, indem ich statt einem meiner Stiefel der Größe 36, einen meines Vaters der Größe 46 vor der Türe deponierte. Diese Stiefel reichten mir damals bis zum Schritt. Darauf ist der Nikolaus voll hereingefallen, obwohl er mir einmal persönlich begegnet war und furchterregend gut über mich informiert zu sein schien. Deshalb war mir bei diesem Täuschungsmanöver etwas mulmig zumute. Aber gelogen hatte ich ja nicht. Immerhin bin ich in den riesigen kretischen Bauernstiefeln mehrmals durch die ganze Wohnung gestapft, weil ich hoffte es könne sich dabei um die Siebenmeilenstiefel handeln, von denen ich schon so viel gehört hatte. Nachdem ich alle mir erdenklichen Zauberworte ausgesprochen hatte und das schwere Schuhwerk sich meinen kleinen Füßen noch immer nicht anpassen wollte und nicht einmal ansatzweise Riesenschritte ermöglichte, legte ich mich rechtschaffen Müde zu Bett. Die Forschung war beileibe mühsam genug. Wenn ich mich erfolglos mit zehn Nummern zu großen Stiefeln plage, kann der Nikolaus gefälligst auch mal etwas großzügiger sein, dachte ich, und hatte recht. Der Stiefel war am nächsten Morgen mehr als voll.
Am nächsten Weihnachtsabend näherte ich mich den Gaben pflichtgemäß gemessenen Schrittes und lobte ausdrücklich die gelungene Gestaltung der wie üblich dekorierten Konifere. Diesmal wußte ich, daß die darunter befindlichen Gaben nur erhältlich sind, wenn ich im Gegenzug die gewünschten Dressurvorgaben erreiche. „Ah! Oh, wie schön“, bemühte ich mich möglichst begeistert hervorzubringen. Da kein Hinweis folgte, daß ich mich daran machen sollte die Geschenke zu entpacken, setzte ich geistesgegenwärtig ein „Fröhliche Weihnachten, Mama und Papa“, hinzu. Und tatsächlich wurde mir schließlich beschieden, mich den Gaben der geheimnisvollen Spender widmen zu dürfen. Weil meine Teilname an diesem Ritual ordnungsgemäß verlaufen war, folgte keine Kritik. Es wurde allerdings mit spürbarem Hohn auf meine Entgleisung vom Vorjahr hingewiesen.
Am darauffolgenden Nikolaustag, knapp ein Jahr später, keimte ein schrecklicher Verdacht in mir auf. Warum werden massenhaft Schokoladennikoläuse gegen Geld in Supermärkten angeboten? Wenn der Nikolaus die Dinger aus reiner Güte allen Kindern in die Stiefel steckt, würde die doch niemand kaufen. Mit tiefem Argwohn fragte ich meine Mutter nach einer Erklärung, die mir sagte, der Nikolaus würde die entsprechenden Waren, eben im Supermarkt beziehen. Im gleichen Augenblick bemerkte ich, wie sich die Kontur eines Schokoladennikolauses im inneren ihrer Einkaufstüte abzeichnete.
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