Monat: Oktober 2005

  • Boutique

    Das Blühen und Fruchten oder auch Verwelken von Einzelhandelsunternehmen in meiner Nachbarschaft zu beobachten gefällt mir. Zur Zeit stehen viele Geschäftsräume leer. Zum Beispiel das eines Buchmachers, der sein Ladengeschäft um etwa 200 Quadratmeter verkleinert hat.

    Viele Leute verwechseln ja Buchmacher und Buchbinder, wie überhaupt oft Begriffe verwechselt werden. Schuhmacher und Schuster, zum Beispiel. Schuhmacher gibt es fast überhaupt nicht mehr, denn kaum jemand läßt sich Schuhe anfertigen, was dazu führt, daß von einem erworbenen Paar Schuhe immer nur ein Schuh wirklich passt. Das liegt daran, daß praktisch niemand zwei gleich große Füße hat. Ein Schuhfabrikant kann ja voher nicht wissen, ob er den linken oder den rechten Schuh größer machen soll. Wenn Schuhe einzeln verkauft würden, gäbe das sicher ein riesiges Durcheinander, was wiederum die Schuhhändler gar nicht gebrauchen können.

    Schuster dagegen stellen keine Schuhe her, sondern reparieren sie. Weil viele Leute kaputte Schuhe aber einfach wegwerfen und sich neue kaufen, müssen manche Schuster auch Schlüssel nachmachen, Stempel anfertigen oder stumpf gewordene Messer und Scheren schleifen. Viele Schuster wollen aber gar nicht so genannt werden, weil sie nämlich eigentlich eine Schuhmacherlehre genossen haben, bevor sie angefangen haben Schuhe zu reparieren. Wenn ich einen frage, ob er, der er ja kein Schuster, sondern ein Schuhmacher ist, ob er denn auch Schuhe anfertigen würde, sagt er mir, „das könnten Sie sich gar nicht leisten“. Da erschrecke ich dann zuerst ein bißchen, weil ich mich frage, ob der Handwerksbetrieb womöglich online mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht verbunden und daher über meine Einkommensverhältnisse informiert ist. Dann beruhige ich mich aber wieder und bleibe einfach dabei, meine Schuhe reparieren zu lassen, und der Schuster bleibt bei seinen Leisten. Das nennt man Deeskalation, glaube ich.

    In dem früheren Wettannahmebüro war für einige Wochen die Sparkasse. Die hat Ihre Filliale am Kurfürstenplatz renovieren lassen und war deswegen vorübergehend umgezogen. Jetzt stehen im Wettbüro nur noch ein überzähliger Geldschrank, ein paar Schalter und einige Schreibtische herum. Der hübsche Briefkasten aus Edelstahl der vor der Tür steht ist nun mit braunem Paketklebeband verschlossen. Der Sparkasse geht es eben besser als den Schuhmachern.

    In einem der zu vermietenden Läden war für kurze Zeit ein Friseur, der aber nun pleite ist. Wenn ein neuer Friseurladen eröffnet, freue ich mich meistens, weil die oft lustige Namen haben, wie „Hairjeh“ oder „Final Cut“. Die habe ich mir jetzt ausgedacht, weil die echten eigentlich doch nicht so gut sind.

    Meistens sind die neuen Geschäfte aber Boutiqen. Es scheint sich in der Maxvorstadt, was übrigens oft mit Schwabing verwechselt wird, eine Boutiquen-Monokultur zu entwickeln. Das finde ich dann zuerst immer etwas enttäuschend und ich denke, „ach, schon wieder eine Boutique“. Aber länger als drei bis sechs Monate bleiben die selten. Danach kommt die nächste, oder wenn man Glück hat, auch etwas völlig anderes. Vielleicht mal eine Reinigung für Putzlappen oder ein Fachgeschäft für buntes Butterbrotpapier.

  • Altglas

    Vor einiger Zeit habe ich aus dem Fenster etwas erstaunliches beobachtet. Ein Altglas-Container wurde ausgeleert. Das ist für sich noch nicht wirklich überraschend, obwohl diese Kunststoffrollen so abstoßend gestaltet sind, daß es so einen Altglas-Container-Ausleer-Angestellten sicher einiges an Überwindung kostet, sich so einem Behälter zu widmen.

    Dieses Triptychon aus beigen Plastikrollen zum Thema braun, grün und weiß soll den altglasentsorgungswilligen Menschen dazu ermuntern, seine Glasabfälle nach Farben zu sortieren. Das Interessante daran, sofern man die Entsorgung leerer Flaschen überhaupt als interessant bezeichnen will, ist daß der Lastwagen in den die Container geleert werden nur zwei Fächer hat. Das was viele fleißige Hände umweltfreundlicher Marmeladenesser und Weintrinker säuberlich in drei Kategorien sortiert hat, wird in einem Rutsch vor seinen Augen wieder durcheinandergemischt.

    Nett ist das nicht. Nochmal sortieren werde ich auch nicht.

  • Better living through Steckernetzteile

    Steckernetzteile

    „Better living through chemistry“, heißt eine Schallplatte der Musikgruppe „Fat Boy Slim“, die zu hören mir schon öfter Vergnügen bereitete. Ich möchte gar nicht abstreiten, daß Chemie mein Leben verbessert. Doch scheinen die Segnungen der Moderne vor allem durch Elektonik geprägt zu sein. Immerhin erfordert der Hörgenuß von Fat Boy Slim ein CD-Abspielgerät, denn tatsächlich besitze ich dieses Album nicht in Form einer Schallplatte, sondern als Compact Disk. Audiophile Hardliner mögen nun einwenden, daß digitale Tonträger Klänge nur unzureichend wiederzugeben imstande sind. Es mögen meine Ohren vielleicht zu wenig geschult sein, um die Vorzüge einer Schallplatte gegenüber einer CD zu erlauschen. Aber der einzig bemerkenswerte Unterschied besteht für mich darin, daß Schallplatten knistern, was zwar erträglich ist, aber auch keinen musikalischen Mehrwert darstellt.

    Ein besonders anschauliches Beispiel für den Triumpf der Elektronik zu Lasten der Chemie ist die Digitalkamerea. Wo früher noch mit Aufnahmen gegeizt wurde für die mit allerlei giftigen Flüssigkeiten in einem Labor herumgepritschelt werden musste, knipst man heute einfach ebenso unbeschwert wie umweltfreundlich darauf los. Statt die Bilder umständlich mit Chemieerzeugnissen in ein Fotoalbum zu kleben, zeigt man sie heute einfach im Internet herum.

    Chemie stinkt ja oft. elektronische Geräte riechen zwar auch nicht schön, aber längst nicht so stark, außer es schmort mal etwas durch. Dann entweicht dem Apparat die ihm innewohnende ganz erbärmlich stinkende Chemie. Es ist aber nicht so, daß funktionierende Elektroartikel nur ein Ausbund der Annehmlichkeit wäre. Die hässliche Seite der oft ja ganz hübsch gestalteten Maschinchen hängt am anderen Ende des Kabels in Form eines Steckernetzteils. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, daß diese Anhängsel schwarz zu sein haben. Vielleicht damit man sie in weißen Steckdosen besser wiederfindet. Bei Computern war es früher so, daß sie unbedingt beige oder grau sein mussten. Ein Steckernetzteil in beige oder grau wäre aber auch nicht besser als ein schwarzes. Wenn die vielen Geräte die ein Mensch so hat für das was da aus der Steckdose herauskommt gar nicht geeignet sind, ist vielleicht die Steckdose selbst nicht mehr zeitgemäß. In eine normale Steckdosenleiste passen ja auch keine zwei Netzteile nebeneinander. Schon deswegen ist das Steckernetzteil zweifellos eine der abscheulichsten Erfindungen der Moderne.

  • Unaufgefordert eingesandte Manuskripte

    Bisher waren es nicht viele, die glaubten im Kommentarwesen des Fellow Passenger zwielichtige Poker-Portale und halbseidene Errektionshilfemedikamentenversandhäuser anpreisen zu müssen. Zwei bis vier pro Woche vielleicht. So habe ich gestern mehr aus sportlichem Ehrgeiz als einer Notwenigkeit heraus mal ein Programm eingebaut, daß Werbebotschaften in Form von Kommentarabfall abweisen soll. „Spam Karma 2“ heißt es. Bei ThoScho habe ich schon mehrfach darüber gelesen. Seit dem sind statt der statistisch gesehen „normalen“ Anzahl von 0,4 Müllanmerkungen pro Tag gleich 20 Stück davon abgeliefert worden. Ich hoffe das ist Zufall. Aber immerhin hat das Zusatzprogramm die unerwünschte Reklame fachgerecht und vollständig entsorgt.

    Ebenfalls gut schlägt sich das von mir gerne verwendete E-Mail-Programm „Mozilla Thunderbird„. Stets bringt es nach nur wenigen Tagen gemeinsamen Übens zielsicher die guten ins Töpfchen und die schlechten ins Kröpfchen. Ab und zu schaue ich nur so aus Neugierde auch mal ins virtuelle Kröpfchen. Manchmal finden sich dort nämlich kleine Perlen, die zwar ihren Werbezweck völlig verfehlen, mich aber zum Schmunzeln bringen. Eine davon schickte „Nina“ unter dem Betreff „Maschine aktiviert – Fickenergie bei 100%“. Das ist natürlich etwas plump, aber der Nimbus von Science Fiction birgt eine gewisse Originalität. Der Text der E-Mail glänzt durch pseudoerotische Phantasien, die eher die Wirkungsweise eines Spam-Bots beschreiben:

    Diese Maschinen geben niemals auf, sie denken nicht, sie befriedigen. Im Gleichtakt vögeln unsere, mit Riesenschwänzen bestückten, Lustapparate die willigen Luder durch, die sich, die Beine weit geöffnet, vor ihnen platziert haben. Hier gibt es die Orgasmusgarantie und hier gibt es auch multiple Orgasmen - das bieten nur die Fickmaschinen. Maschinen können immer, geben immer volle Leistung und leisten sich keinen Hänger. Stahlhart gefickt, stundenlang präzise gevögelt und perfekt austariertes Lustempfinden

    Rein, raus, rein, raus... und immer weiter rattern die heißen Motoren, aber die Motoren sind garantiert nicht das einzig Heiße hier. Trailer for free bieten dir schon mal einen geilen Vorgeschmack auf die Leistungskraft unsere Fick-o-maten. Schau Dir an wie Sarah und Marie gleichzeitig von einer Maschine genagelt werden und wie die geile Lugina den Regler immer höher einstellt, damitdie Maschine sie immer schneller durchrammt. [Link von d. Red. entfernt]

    Von der überaus ungewöhnlichen Interpunktion abgesehen, komme ich aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Offenbar soll ich mich dafür begeistern, daß mechanische Vorrichtungen die ratternd heißlaufen, also technisch eher wenig ausgereift sind, mich als Partner für den Geschlechtsverkehr überflüssig machen. Sollte mir das Angebot vielleicht nur irrtümlich unterbreitet worden sein und sich eigentlich an Damen richten? Der Hinweis auf weit geöffnete Beine williger Luder scheint sich aber nicht an weibliches Publikum zu richten. Überhaupt empfinde ich ja ein weit geöffnetes Bein als eher wenig erotisch. Wenn man nicht gerade damit beschäftigt ist einen gebrochenen Femur zu verschrauben lässt man so ein Bein doch eigentlich lieber geschlossen.

    Lustig finde ich auch den mir völlig neuen Begriff „durchrammt“. Ich stelle mir das als eine Art Havarie im neuen Zeitalter der maschinellen Kopulation vor.

    Ein bißchen schade ist ja, daß Sarah und Marie sich einen dieser Apparate teilen müssen und beide selbst keinen Einfluß auf den Ablauf nehmen dürfen. Vielleicht sollten sie der „geilen Lugiana“ auch lieber gar nicht trauen. Immerhin scheint Ihr Lustgewinn allein darin zu bestehen, die beiden anderen Damen möglichst schnell „durchrammen“ zu lassen.

    Das ist fast eine gelungene Symbiose zwischen technischer und sexueller Revolution.

  • Juristen sind witzig

    Juristen haben eine lustige Sprache. Es führte zu weit, wollte man behaupten, die Lektüre eines Vertragstextes vermöge einem zu Verzückung gereichen. Überhaupt ist die Mehrzahl ihrer Werke zumindest unter lyrischen Gesichtspunkten eher entsetzlich. Vielleicht ist das der Grund, warum viele Auswüchse juristischen Literaturschaffens dem Leser aufgezwungen werden. Die Nutzungsbedingungen eines Computerprogramms sind üblicherweise bar jedes Unterhaltungswertes. Dennoch versucht beinahe jeder Hersteller eines solchen Produktes seine Kunden dazu zu bringen, zumindest zu behaupten das Kauderwelsch seines Hausjuristen gelesen zu haben. Wer dem Software-Hersteller sein Ja-Wort zu dessen Geschäftsbedingungen verweigert, kann das Programm gar nicht erst installieren. So kreuzt man eben an „Yes, I accept the Terms of …“ und denkt dabei, „See if I care“.

    Bei anderen Gelegenheiten freue ich mich aber über hübsche Formulierungen wie etwa, „In der vorbezeichneten Angelegenheit“. Da fühle ich mich gleich ins vorletzte Jahrhundert versetzt und denke an zweispännige Landauer und Sherlock Holmes. „Angelegenheit“ ist ja auch ein sehr schöner Euphemismus für eine Auseinandersetzung. Wenn ich in einer Firma anrufe und jemand bestimmten sprechen möchte, fragt die Sekretärin gerne, „worum geht es denn?“ Daran ist freilich nichts auszusetzen. Das ist nichts gegen die geradezu feierliche Frage, „In welcher Angelegenheit?“, die ich gestellt bekomme, wenn ich einen Rechtsanwalt in seiner Kanzlei sprechen möchte.

    Bestimmt nehmen Richter ihre Entscheidungen ernst. Aber gerade die staubtrockenen formulierten Erkenntnisse mit denen sie ein Urteil begründen haben oft einen vermutlich ungewollten aber hohen Unterhaltungswert. Wenn ein Gericht feststellt, daß „drei nicht vier“ ist, kann man sich über die selbst eher einfallslose Nassrasurindustrie erheitern.

    Versöhnlich ist auch ein Urteil zum Gebrauch von Hupen. Aus Gründen die sich mir bisher nicht erschließen, pflegen Mann und Weib sich vorzugsweise an Samstagen zu vermählen. Es ist üblich, daß das Paar vom Ort der Trauung in einem blumenbekränzten Fahrzeug mit dem nicht minder motorisierten Aufgebot im Gefolge zum anschließenden Gelage reist, wobei möglichst der gesamte Rest der Menschheit mit Hilfe der Autohupe auf den frohen Anlass hingewiesen wird.

    Während die Hochzeitsgesellschaft ein im Leben einmaliges Ereignis wähnt, stellt mancher Anwohner fest, daß eigentlich dauernd jemand heiratet. Vor allem Samstags. Ein besonders unduldsamer, vermutlich unverheirater Mensch fühlte sich belästigt, klagte vor Gericht und bekam Recht. Der Kläger war allgemeinem Fohsinn wohl eher abgeneigt. Die Urteilsbegründung war dafür erheiternd:

    „Eine Ehe stellt keine unmittelbare Gefahr dar, vor der durch Hupen gewarnt werden muß.“

  • Heine ist Gottschalk

    Wolfram Gottschalk

    Wie die Böllzeitung kürzlich enthüllte, ist Heinrich Gottschalk in Wahrheit Thomas Brecht. Das kam nur heraus, weil Johan Wolfgang von Bohlen eine Wette mit Angela Schröder verlor, wegen der er Gedichte von Bert Diekmann in der Düsseldorfer Kai Schiller Realschule vorlesen musste.

  • Killer-Muschel zerfleischt Koch

    Sie sehen harmlos aus, gelten als schmackhaft und haben gerade Saison. In jenen Monaten, deren deutsche Bezeichnung ein r enthält sollen Muscheln besonders bekömmlich sein.

    Die Mehrzahl der Tiere, die man sonst in der Küche zubereitet sind zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Nicht so Muscheln. Tote Exemplare sind giftig und werden verworfen. So eine lebende Miesmuschel erweckt zunächst nicht den Einruck, als wäre sie ein besonders gefährliches Tier.

    Während der Vorbereitungen für die Zubereitung in einem Sud aus Wurzelgemüse und Knoblauch auf Rieslingbaisis kam es jedoch bereits zu ersten Zwischenfällen. So gelang einer Muschel spontan die Flucht aus dem Abtropfsieb. Wegen des lauten Aufpralls wurde der Flüchtling jedoch entdeckt und konnte nach kurzer Verfolgungsjagd eingefangen und wieder in die Schüssel verbracht werden.

    Allerdings schnappte die abtrünnige Muschel wie wild nach ihren Häschern und fügte dem Koch dabei schwere Verletzungen zu. Die wildgewordene Muschel hatte sich bereits tief in den Daumen des Kochs verbissen, als ein geistesgegenwärtiger Gast die beiden durch einen beherzten Schlag mit einer Bratpfanne zu trennen vermochte.

    Daumen mit kleiner Schnittverletzungl

    „Es war knapp“, sagt der Koch heute, „aber ich habe dieses kleine Monster 36 mal gekaut, bevor ich es heruntergeschluckt habe. Es hat mich einfach unterschätzt“

  • Drei ist nicht vier

    Barbier bei der Arbeit
    Foto: Mark Schweizer

    Zu dieser profunden Erkenntnis gelangte nun laut Spiegel-Online das Düsseldorfer Landgericht, als es eine Klage des Rasierer-Herstellers Gilette gegen den Rivalen Wilkinson abwies, in der Wilkinson vorgeworfen wurde, sein vierschneidiges Modell von dem Gilette-Rasierer mit drei Klingen abgekupfert zu haben.

    Irgenwie kann man ja die Sorge der Juristen verstehen. Wenn in ein paar Jahren der Gilette Parsec27 Hydraglide* gegen den Wikinson Femto28 Electrocuit* antreten muß, wird es der Verbraucher mit der Unterscheidung nicht mehr so leicht haben. Zumal die Klingen beider Modelle dann bestimmt hinter einer alarmgesicherten semipermeablen Doppelmembran aus Eigenurinstein verborgen sind, damit man sich nicht aus Versehen schneidet.

    * Huhu, Gilette und Wilkinson! Diese Namen könnt Ihr schon heute von mir kaufen. Spenden Sie einfach 6500 € (pro Name) für Peppy.

  • Blogger schmecken nicht wie Zuckerwatte!

    Zuckerwatte
    Bild geklaut bei Treibgut

    Deutschlands Helden der Wirtschaft gefallen sich, indem sie für 30 Millionen Euro mediales Johanniskraut fürs Volk verteilen. Dabei verlassen sich die Schöpfer der Kampagne „Du bist Deutschland“ vor allem darauf, daß die Deutschen von einem Stimmungstief geplagt sind, das sie sich selbst herbeigeredet haben. Folglich müsste sich diese Depression durch eine Landesweit angelegte Psychotherapie wieder beseitigen lassen, so die Idee der Initiatoren.

    Der Gedanke ist ehrbar, keine Frage. Dennoch hat die Kampagne in vielerlei Hinsicht eine ganze Reihe von Schwächen. Die größte ist wohl, daß in Sachen Bildung, Gesundheitswesen, Sozialfürsorge und Arbeitsmarkt ein Abwärtstrend zu spüren ist, und vor allem weder Regierung noch Opposition sich die Mühe gemacht haben ein Konzept zu erarbeiten das Besserung hoffen lässt. Gemessen an beispielsweise Tansania geht es Deutschland überragend gut. Deutschland geht es auch absolut gesehen nicht schlecht. Aber der Abstand wird schmaler und das beunruhigt die Menschen.

    Korruption gibt es wohl überall. In gewissen Maßen mag sie dem Wohlergehen eines Landes vielleicht sogar förderlich sein. Doch allzuviel ist ungesund. Allzuviel davon gibt es in Deutschland. Das ist so, weil es zum Beispiel für Abgeordnete nicht verboten ist, von Personen oder Unternehmen Geld anzunehmen. Der Verein Transparency International rügt dies an Deutschland bereits seit vielen Jahren, das da im internationalen Vergleich starkten Nachholbedarf hat, wie ein Papier des Vereins zeigt (hier als PDF).

    Daß eingedenk dieser Umstände so manchen der Mut verlässt, ist eigentlich nicht überraschend. Die Frage ist, ob eine Kampagne aus der schönen bunten Welt der Werbung daran viel zu ändern vermag.

    Zweifel sind berechtigt. Zum einen ist nicht alles im Lande eitel Sonnenschein, zum anderen ist die Kampagne selbst nicht wirklich gut umgesetzt. Während sich die meisten Webmaster bemühen ihre Seiten so zu gestalten, daß sogar blinde Menschen etwas damit anfangen können verläßt sich die deutsche Motivationselite lieber auf Flash, was selbst sehende zuweilen vor Schwierigkeiten stellt. Zum Beispiel erteilt der Internetauftritt Linuxanwendern ohne Kommentar eine Absage.

    Wem es gelingt die Seite aufzurufen, der mag über einige Inhalte stolpern. So fragt man sich, warum unter anderem gerade Albert Einstein als Musterdeutscher hinhalten musste. Immerhin musste er aus Deutschland fliehen, um seiner Arbeit nachgehen zu dürfen.

    Kein Wunder also, daß aus der deutschen Bloglandschaft auch Gegenwind weht, wie Google-Blogsearch zeigt.Spreeblick hat seine Leser dazu ermuntert, dort eigenen Entwürfe für die Kampagne zu hintelegen. Die ersten drei „Anzeigen“ sind freilich von Ihm selbst. Im Motiv „Du bist Ackermann“ ehrhebt der Bankvorstand die rechte Hand zum „Viktory-Zeichen“ und ist sichtlich froh die Gerichtsverhandlung unbeschadet überstanden zu haben. Bald 300 Entwürfe sind dort zu finden. Viele davon sind recht gelungene Satiren.

    Interessant, was Mitinitiator der „Du bist Deutschland“-Kampagne Michael Trautmann dazu dem Handelsblatt mitzuteilen weiß: „Mit dem negativen Feed-Back bei den Weblogs haben wir gerechnet. Die sind immer destruktiv“.

    Mit so einem dümmlichen Kommentar mußten wir rechnen. Werber sind sind immer arrogant.

  • Wir basteln ein Kernkraftwerk

    Kernenergie ist besonders in Deutschland stark umstritten. Wo aber die Gefahren liegen ein Kernraftwerk zu betreiben ist den meisten nur wenig bekannt. Überhaupt weiß kaum jemand, so hat eine ausdrücklich nicht repräsentative Umfrage des Fellow Passenger ergeben, wie so ein Kernkraftwerk eigentlich funktioniert. Deswegen haben wir uns beim AKW Grundremmingen einmal selbst erkundigt.

    Ein Atomkraftwerk ist im Prinzip eine Dampfmaschine. Die Idee ist, an einer Stelle infernalische Hitze zu erzeugen, dadurch Wasser in Dampf zu verwandeln und durch den starken Druck der dabei entsteht eine Turbine anzutreiben, an der ein Dynamo hängt. Soweit besteht zu einem Kohlekraftwerk kein Unterschied.

    Der Unterschied besteht darin, wie die Hitze zustande kommt. Der Trick ist, man nimmt einige Atome wie Uran-235, die mehr oder auch weniger Neutronen als Protonen im Kern haben und deswegen von alleine zerfallen. Weil sie von alleine zerfallen muß man sie künstlich herstellen.

    Man füllt dann ein Metallrohr mit natürlichem Uran das man in Bergwerken findet und mischt etwa ein Prozent Uran-235 darunter. Das nennt man Brennstab.

    Sobald eines dieser Uran-253-Atome zerfällt. fliegen mit ziemlichen Karacho die ganzen überschüssigen Neutronen raus. Wenn so ein Neutron in die richtige Richtung fliegt, kann es den Kern eines anderen Atoms treffen und versucht es sich dort gemütlich machen. Stattdessen gerät dort aber alles aus dem Gleichgewicht und das Atom fällt auseinander. Dabei setzt es gleich mehrere Neutronen in die Landschaft. Die fliegen wieder auf die Atome in der Nähe und alles geht von vorne los. Das heißt Kettenreaktion. Das passiert aber nur unter bestimmten Bedingungen.

    So ein Atom ist praktisch hohl. Wäre der Kern so groß wie die münchner Altstadt wären die Elektronen davon soweit weg wie Hannover. Damit ein Neutron tatsächlich mal einen Kern trifft müssen genügend Atome aufeinander sitzen. Das nennt man eine kritische Masse. Ohne die geht gar nichts.

    Es ist auch so, daß nur langsame Neutronen es schaffen sich in einem fremden Atomkern breit zu machen. Wenn sie zu schnell sind passiert nichts.

    Wenn ein Atom zerfällt fliegen die Neutronen mit einem ganz schönen Karacho durch die Gegend. Das kann man für eine Kettenreaktion gar nicht brauchen. Darum nimmt man viele Brennstäbe, die zusammen eine kritische Masse bilden und schiebt etwas dazwischen was die Neutronen bremst. So eine Bremse bezeichnet man als Moderator. Das ist etwas irreführend, weil die Bremse ja nur die Neutronen bremst. Für die Kettenreaktion ist das aber eigentlich das Gaspedal. Die Anwesenheit des Moderators zwischen den Brennstäben bringt die Kettenreaktion in Schwung.

    Der Moderator ist die heikle Sache an Atomreaktoren, denn mit ihm wird alles kontrolliert. Verschiedene Materialien bremsen Neutronen unterschiedlich stark. Luft praktisch gar nicht. Wasser und Graphit sehr gut.

    Graphit ist weltweit als Moderator recht beliebt, weil in solchen Reaktoren außer Strom auch Plutonium entsteht, aus dem man Atombomben bauen kann. Um eine Kettenreaktion in Gang zu halten ohne das sie aus dem Ruder läuft ist Graphit aber nicht so gut. Man muß nämlich die Brennstäbe andauernd in den Graphitblock rein und wieder herausfahren, damit die Reaktion in Gang bleibt, aber auch nicht außer Kontrolle gerät. Wenn die Brennstäbe mal etwas zu lange im diesem Graphitklotz bleiben, fangen sie an zu schmelzen, verkeilen sich im Graphit, der anfängt an zu brennen. Dann ist nichts mehr zu machen. Die Kettenreaktion läuft weiter und nichts kann sie stoppen. Dieses Inferno nennen die Ingenieure Kernschmelze. Das ist in Tchernobyl passiert.

    Erheblich besser geeignet ist Wasser. Das hängt damit zusammen, daß Wasser Blasen wirft, sobald es kocht. Wasserdampf aus dem die Blasen bestehen sind als Neutronenbremse so schlecht geeignet wie Luft. Wenn das Wasser im Reaktor so heiß wird, daß es zu kochen anfängt werden die Neutronen durch die vielen Dampfblasen nicht mehr gebremst. Die Kettenreaktion lässt also zwangsläufig von alleine nach. Damit sinkt auch die Hitze, so daß das Wasser aufhört zu kochen. In vielen Ländern werden diese Reaktoren aber nicht so gerne verwendet, weil man aus den verbrauchten Brennstäben keine Atombomben bauen kann.

    Das große Problem ist bei beiden Ansätzen das was übrig bleibt. Denn bis jetzt ist niemandem etwas besseres eingefallen den radioaktiven Abfall in Glasbrösel zu gießen, damit es nicht mehr wasserlöslich ist, diese mit Beton in Metallrohre zu gießen und irgendwo abzustellen.